Betreuung bei Demenz : Kontakt halten in einer Welt des Vergessens

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Im Zentrum jeder Pflegeoase steht ein großzügiger Wohn- und Aufenthaltsbereich. Bild: K&S

Die Zahl an Demenzfällen steigt. Ist die Krankheit bereits weit fortgeschritten, bietet die „Pflegeoase“ einen geschützten Bereich zum Wohnen und Leben.

Still sitzt Hannelore M. in ihrem Pflegestuhl, mit einer Hand streicht sie immer wieder über eine Armlehne. Auf Ansprache reagiert sie nur wenig. Was genau in ihrem Kopf vorgeht ist für Außenstehende nur schwer zu beurteilen. Die 85-Jährige hat Demenz. Ein Schicksal, von dem immer mehr Menschen betroffen sind. Gegenwärtig leben in Deutschland rund 1,5 Millionen Demenzkranke. Zwei Drittel von ihnen haben das 80. Lebensjahr vollendet, etwa 20.000 sind jünger als 65. Sofern kein Durchbruch in Prävention und Therapie gelingt, wird die Zahl der Erkrankten nach Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes jedes Jahr um 40.000 zunehmen und sich bis zum Jahr 2050 auf etwa drei Millionen verdoppelt haben.

Vor allem die Langzeitpflege steht vor einer gewaltigen Herausforderung. Knapp 70 Prozent der Bewohner stationärer Pflegeeinrichtungen leiden an Demenz. Bei deutlich mehr als der Hälfte handelt es sich um eine schwere Form der Erkrankung. Zentrale Symptome sind eine völlige räumliche und zeitliche Desorientiertheit, eine stark eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit, wenig bis keine Mobilität und umfassende Defizite in allen Bereichen der Selbstversorgung.

Doch die stationäre Pflegebranche ist in Bewegung geraten. Neue Ansätze und innovative Ideen werden diskutiert. Eine davon ist das Konzept der „Pflegeoase“, eine Weiterentwicklung der Wohngemeinschaft, die sich in besonderer Weise an den Bedürfnissen von Menschen mit schwerer Demenz ausrichtet. Erst vor einigen Jahren in der Praxis etabliert, ist die Zahl der Anbieter noch überschaubar. Nach Angaben des Informationszentrums Demenz Support Stuttgart verfügen etwa 30 Einrichtungen bundesweit über eine Pflegeoase. Die K&S Seniorenresidenz im brandenburgischen Lübben ist eine davon. „Im Juni 2015 haben wir sie offiziell eröffnet“, berichtet Residenzleiterin Andrea Kunert.

Zu den ersten Bewohnerinnen zählt auch Hannelore M.. Lebte die Seniorin vorab auf einer Etage mit Personen unterschiedlichster Demenzausprägung, verbringt sie ihren Tag nunmehr zusammen mit sechs weiteren von schwerer Demenz betroffenen Bewohnern in einem speziell geschützten Areal. Große Fensterflächen, eine Spanndecke mit animiertem Wolkenmotiv und dimmbarer Lichtanlage sowie eine gemütliche Wohnküche bestimmen die Atmosphäre des bewusst großzügig gehaltenen Bereichs. Für besondere Stimulation sorgt ein frei stehender Raumkamin, der ein künstliches Flammenspiel mit dezenter Rauchentwicklung simuliert. „Nachts oder wenn die Bewohner besonderer Ruhe bedürfen, können sie sich in die unmittelbar angrenzenden Einzelzimmer zurückziehen“, erklärt die Residenzleiterin.

Betrachtet man die Pflegeoasen anderer Häuser, kann die Ausgestaltung durchaus variieren. Das Grundkonzept ist dennoch identisch: Die Wohngruppe ist bewusst klein bemessen, meist sind es vier bis sieben Bewohner. Architektonisch bildet ein großzügig gehaltener Mehrpersonenraum mit Küche und Individualbereichen den kommunikativen Mittelpunkt. Umgeben ist dieser von mehreren Rückzugsräumen, die dem Bedürfnis nach Privatsphäre entsprechen, aber dennoch durch Sichtachsen die kommunikative Verbindung und damit die Teilhabe am Geschehen halten. Weitere Angebote sind Entspannungszonen wie Pflegebäder oder Snoezelenräume, die mit leisen Klängen und Lichtspielen Wohlbefinden erzeugen sollen, sowie geschützte Außenbereiche, wie etwa in Lübben der Zugang zu einer separaten Terrasse.

Auch das Personal unterscheidet sich. Neben einer Zusatzausbildung zur gerontopsychiatrischen Fachkraft fordert das Konzept die kontinuierliche Präsenz eines Ansprechpartners. In Kombination mit dem besonderen Wohnraumkonzept soll so gewährleistet sein, dass eine unmittelbare Reaktion auf alle körperlichen, psychischen und sozialen Bedürfnisse der Bewohner möglich ist. Insbesondere einer sozialen Isolation soll zugunsten des Erlebens von Gemeinschaft entgegengewirkt werden.

Kunert ist vom Konzept der Pflegeoase überzeugt. Sie beobachtet bereits nach nur wenigen Monaten positive Veränderungen bei den Bewohnern. Auch bei Hannelore M.. „Sie kommuniziert wieder mehr“, berichtet die Residenzleiterin. „Vor allem der Wolkenhimmel hat es ihr angetan. Diesem erzählt sie stundenlang etwas aus ihrem Leben.“ Auch Symptome der Unruhe und Aufgeregtheit haben sich bei der Seniorin merklich gelegt. Dies führt Kunert vor allem auf den Umstand zurück, dass die 85-Jährige nun nicht mehr von Bewohnern umgeben ist, bei denen in einer Vorphase der Demenz vor allem der Bewegungsdrang sehr hoch ist. „Die Pflegeoase gibt ihr jetzt Sicherheit, ist überschaubar und gewährleistet ein ruhiges soziales Miteinander.“

Erste Evaluationsstudien bestärken Kunerts Erfahrungen. Sie belegen, dass Bewohner einer Pflegeoase im Vergleich zu Kontrollgruppen weniger (beobachtbare) Schmerzempfindungen, Apathie und Essstörungen sowie weniger herausforderndes Verhalten zeigen. Außerdem entwickeln sie ein gesteigertes Aufmerksamkeitsniveau, haben mehr und vielfältigere Sozialkontakte und benötigen weniger Psychopharmaka. Auch eine zweijährige Studie durch die Pflegewissenschaftliche Fakultät der Philosophisch Theologischen Hochschule Valendar offenbart, dass „im Ergebnis die Lebensqualität von Bewohnern einer Pflegeoase höher eingeschätzt werden kann als in einer Vergleichseinrichtung“.

Für Kunert selbst zählen vor allem die Einzelschicksale. „Ziel sollte sein, Betroffenen in allen Phasen der Demenz ein weitgehend selbstbestimmtes und erfülltes Leben zu ermöglichen. Die Pflegeoase kann hierfür ein gutes Beispiel sein.“

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