Ganzheitliche Ernährung : „Niemand nimmt ab, wenn er Hunger hat“
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Dr. med. Matthias Riedl (Mitte) und sein Team. Bild: medicum Hamburg
Ob Low-Carb-Food oder Trinkkur – viele Diäten versprechen eine Gewichtsreduzierung. Langfristige Erfolge bringt aber meist nur ein individueller Ernährungsplan.
Im Grunde wissen wir, was wir falsch machen: Wir essen zu viel Brot und Süßspeisen aber wenig Gemüse. Unsere Nahrung und Getränke enthalten zu viel Zucker und Salz. Wir bewegen uns zu wenig. Die Liste unserer täglichen Ernährungssünden lässt sich beliebig fortsetzen. Hinzu kommen die verschiedenen Diäten, an denen wir gescheitert sind: Zwei Wochen lang nur Rohkost, „Friss die Hälfte“ oder Trinkfasten. Die Probleme, die unsere Ernährung für Gesundheit und Körpergewicht mit sich bringt, sind das Fachgebiet von Dr. med. Matthias Riedl, Diabetologe und Ernährungsmediziner im medicum Hamburg und bekannt aus der NDR-Ratgeber-Serie „Die Ernährungsdocs“: „Die größten Probleme unserer Zeit sind meiner Meinung nach zu viel Zucker und zu wenig Eiweiß. Aber am wichtigsten ist es, jeden Menschen und seine Ernährungsgewohnheiten einzeln zu betrachten und eine passende Lösung zu suchen. Pauschale Tipps nützen gar nichts“.
„Wir brauchen einen gefüllten Magen“
Dr. Riedl hält nichts von radikalen Diäten: „Hunger ist ein archaisches Gefühl, das uns quält. Wenn ich meinem Körper zu wenig zu essen gebe oder wichtige Stoffe weglasse, signalisiert er mir deutlich, dass ihm etwas fehlt. Man nimmt vielleicht kurzfristig ab, aber ab einem gewissen Punkt purzeln die Pfunde erheblich langsamer oder gar nicht mehr. Dann nämlich, wenn der Körper als Reaktion auf die Mangelernährung eigene Energiesparmaßnahmen einleitet. Er passt sich an die neuen Nahrungsmengen an und verwertet sie effizienter als zuvor. Dadurch schafft es unser Körper, selbst bei Diäten noch Reserven zu bunkern. Spätestens wenn man trotz Hunger und Entbehrung wieder zunimmt, geben die meisten auf. Dabei war das Scheitern vorprogrammiert. Niemand nimmt ab, wenn er Hunger hat“. Dr. Riedl vergleicht eine Ernährungsumstellung gerne mit der Sanierung eines Unternehmens, das rote Zahlen schreibt. Alles auf einmal umzukrempeln mache keinen Sinn. Sondern man strukturiert zunächst die Bereiche um, die es am dringendsten nötig haben. Dr. Riedl nennt dies sein „20/80-Prinzip“: 20 Prozent unserer Ernährungsmuster kommen auf den Prüfstand und sollen geändert werden. 80 Prozent bleiben wie sie sind. So könnten Erfolge erzielt werden, aber Lebensqualität und Spaß blieben erhalten. Und dazu gehöre auch ein ausreichend gefüllter Magen.
Qualifizierte Ernährungsmedizin statt Diätmythen aus dem Internet
Vermeintlich gute Tipps gibt es zuhauf von Freunden oder im Internet. „Wenn diese so gut wären, würden nicht so viele Menschen an Diäten scheitern“, so der Hamburger Ernährungsmediziner Riedl, „Der Erfolg unserer Methoden beruht auf der Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse, kombiniert mit psychologischer Begleitung und Hilfestellungen für den Patienten“. In einem ersten Schritt wird das persönliche Ernährungsverhalten analysiert – was gut läuft und was nicht. In einem zweiten Schritt erfolgt dann das Herantasten an eine mögliche Ernährungsumstellung. Dabei müssen unbedingt die Vorlieben der Patienten beachtet werden, mahnt Dr. Riedl: „Jemandem, der gerne herzhaft isst, ständig Obst anzudrehen, wird langfristig nicht von Erfolg gekrönt sein. Auch allgemeine Ratschläge, z.B. mehr Gemüse zu essen, reichen nicht aus. Wir machen konkrete Vorschläge und liefern Rezepte. Zudem besprechen wir regelmäßig, ob der Patient damit im Alltag zurechtkommt. Wenn nicht, probieren wir die nächste Strategie. So lange, bis es passt und wirkt“.
Wirksame Tricks gegen Naschen und Heißhunger-Attacken
Der Trend zu vielen kleinen Snacks und Mahlzeiten ist längst überholt. Heutzutage befürworten Ernährungswissenschaftler maximal drei, bestenfalls sogar nur zwei Mahlzeiten am Tag. Leider entspricht dies aber nur dem Verhaltensmuster sehr weniger Menschen. Die meisten genießen zusätzlich zu ihren drei Mahlzeiten regelmäßig Snacks und Süßigkeiten. „Hier kann man sich mit kleinen Tricks aushelfen“, rät Ernährungsprofi Dr. Riedl. „Wer beim Autofahren gerne Süßigkeiten nascht, sollte stattdessen eine kleine Tüte Nüsse im Handschuhfach haben. Nüsse enthalten gute, ungesättigte Fettsäuren, machen satt und liefern schnelle Energie. Oder man versucht, den Genuss eines Schokoriegels durch eine gemütliche Tasse Kaffee auszutauschen“. Wer regelmäßig unter Heißhunger-Attacken leidet, müsse vor allem seine Hauptmahlzeiten überdenken. Vielleicht sei die Menge oder die Zusammensetzung nicht ideal gewesen. In den meisten Fällen, so Dr. Riedl, stimme die Eiweißaufnahme nicht. Der Körper benötigt Eiweiß zum Aufbau und Erhalt der Muskeln. Außerdem sorgt Eiweiß für ein anhaltendes Sättigungsgefühl – der beste Garant gegen Heißhunger.
Ganzheitliche Ernährung als Heilmittel bei Krankheiten
Ob Nierenschwäche, Asthma, Arthrose oder Krampfadern – auch viele Beschwerden lassen sich durch eine gesunde Ernährung lindern, betont Dr. Riedl: „Wenn ein Diabetes im frühen Stadium diagnostiziert wird, ist er zu 70 Prozent heilbar. Aber auch bei einer bestehenden Erkrankung kann man häufig die Medikamentendosis deutlich reduzieren. Dies gilt für Rheuma, Darmerkrankungen, Gicht oder Multiple Sklerose, eigentlich für fast alle Krankheiten. Ich hatte einen Patienten, der etwa 150 kg wog und an einer schweren Schlafapnoe litt. Wir haben es nicht nur geschafft, dass er innerhalb von vier Monaten gut 17 Kg abgenommen hat, sondern dadurch auch seine Atemprobleme beseitigt“. Selbst bei Krebserkrankungen mit schlechter Prognose könne eine gesunde Ernährung Wunder wirken, erklärt Dr. Riedl. 30 Prozent aller Krebspatienten sterben an Mangelernährung. Zwar könne er den Krebs nicht heilen, aber immerhin die Lebenserwartung und die Lebensqualität der Erkrankten deutlich erhöhen.
Ganz gleich welche Ursache unsere Ernährungsprobleme haben, ob ihnen Krankheiten, Unwissenheit oder schlechte Verhaltensmuster zu Grunde liegen – Dr. Riedl ermutigt alle Betroffenen, auf keinen Fall aufzugeben: „Jeder kann es schaffen, seine Ernährung umzustellen und gesünder zu leben. Wenn es bisher nicht geklappt hat, war es einfach nur die falsche Methode“.