Medikamenten-Sicherheit : Der im Stich gelassene Patient

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Bei zu zahlreich verschriebenen Medikamenten verliert der Patient schnell den Überblick. Bild: ZIQUIU - Fotolia.com

Das Bundesgesundheitsministerium hat einen Aktionsplan zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit unterbreitet. Medikation soll besser organisiert werden.

Etwa 7 Millionen Bundesbürger bekommen fünf oder mehr Medikamente für die regelmäßige Einnahme verschrieben. Auf der einen Seite gelten Medikamente dabei zu Recht als eine der wirksamsten Therapieformen, die wir überhaupt haben. Auf der anderen Seite kann aber die Einnahme und Anwendung von Medikamenten risikoreich und gefährlich sein. Zum Beispiel landen durch (eigentlich vermeidbare) Medikationsfehler jährlich etwa 500.000 Patienten in der Notaufnahme der Krankenhäuser. Bei den über 70-Jährigen ist es jeder Dritte, der aus diesem Grund eingeliefert wird. Etwa 50.000 Menschen sterben jährlich auf Grund von Medikationsfehlern in Deutschland; das sind mehr als zehnmal so viel wie im Straßenverkehr.

Wie kann das sein? Und was kann man selbst dagegen tun? Die Wenigsten haben einen Überblick, was nun richtig ist und was nicht. Das gilt für Patienten gleichermaßen wie für Heilberufler. Fehlender Überblick über einzunehmende Medikamente beim Patienten führt verständlicherweise zu Verunsicherung, und dies kann zur Folge haben, dass Arzneimittel z.B. gar nicht erst eingenommen werden, obwohl diese eigentlich wirksam wären und dem Patienten nützen würden. Fehlender Überblick bei Ärzten und Apothekern über alle Medikamente eines Patienten kann wiederum gefährliche Wechselwirkungen zwischen nicht untereinander abgestimmten Medikamenten bewirken. Diese zwei Arten fehlenden Überblicks sollen im Folgenden näher beleuchtet werden, um Gefahren auszuschließen und Lebensqualität zu erhöhen.

Fehlender Überblick der Ärzte und Apotheker

Eine einfache Frage entlarvt hierbei unser bisheriges System: Woher weiß der Kardiologe, was der Orthopäde beim selben Patienten verordnet? Er weiß es nicht, und umgekehrt auch nicht, weil eine solche Abstimmung bislang nicht ohne Weiteres überhaupt möglich ist. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt darin, dass der Unternehmenszweck der zahlreichen Softwareanbieter für Krankenhäuser, Arztpraxen und Apotheken tatsächlich nicht die Austauschbarkeit solcher Informationen darstellt. Im Gegenteil, natürlich will jeder Hersteller sein eigenes System verkaufen und sich gegenüber den anderen so weit wie möglich abgrenzen. Da auch die elektronische Gesundheitskarte bislang nicht über geeignete Austausch- und Abstimmungs-Funktionalität verfügt, hat bislang keiner der Heilberufler einen Gesamtüberblick über seine Patienten. Es werden Krankheiten einzeln betrachtet und behandelt, aber nicht der Patient als Ganzes. Damit wird der Kranke bislang im Regen stehen gelassen.

Längst ist dieser erhebliche, nicht akzeptable systemische Mangel erkannt worden. Daher wird kommendes Jahr der bundeseinheitliche Medikationsplan eingeführt, der für alle Ärzte und Apotheker verbindlich für den Patienten zu nutzen ist. Ganz bewusst soll die erste Version dabei für den Patienten auf Papier, stets auf dem aktuellen Stand, zur Verfügung gestellt werden. Damit bekommt jeder Heilberufler den so dringend erforderlichen Überblick über die Gesamtmedikation jedes Patienten. Ärzte können so von vornherein neue Verschreibungen an die bisherige Medikation anpassen und z.B. auch gefährliche Doppelverordnungen vermeiden. Apotheker wiederum sind durch den bundeseinheitlichen Medikationsplan in der Lage, für den Patienten die gesamte Medikation z.B. auf gefährliche Wechselwirkungen zu prüfen. Voraussetzung ist natürlich, dass der Patient seinen Medikationsplan auch nutzt. Er sollte immer mitgenommen und bei allen Heilberuflern vorgelegt werden. Ein Patient, dem seine Lebensqualität und Gesundheit wichtig ist, wird sich die Nutzung des Medikationsplans nicht nehmen lassen.

Wer nicht bis nächstes Jahr warten will, der wird in der Apotheke des Vertrauens sicher bereits heute einen geeigneten Medikationsplan bekommen können. Das gilt ebenfalls im Fall der Abstimmung selbst gekaufter, frei erhältlicher Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel sowie bei bestimmten Nahrungsmitteln, denn auch hier kann es zu folgenreichen Wechselwirkungen kommen (z.B. Calcium-Tabletten oder Grapefruitsaft).

Fehlender Überblick des Patienten

Ein solcher Medikationsplan liefert nicht zuletzt dem Patienten einen Überblick über seine Gesamtmedikation. Das alleine reicht jedoch noch nicht: Auch wenn alle Medikamente untereinander abgestimmt sind, so gilt es im Alltag diese auch richtig einzunehmen bzw. anzuwenden. Eine Tablette wirkt nur dann, wenn Sie auch genommen wird.

Da der Mensch aber von Natur aus skeptisch ist, wird manche Medikation aufgrund von Unsicherheit abgelehnt und dadurch möglicherweise bewusst, oder unbewusst nicht genommen. Menschen sind fehlbar, so wird zudem manche Einnahme im Alltag schlicht vergessen. Oft werden Medikamente außerdem nicht genommen, weil wir die Wirkung nicht unmittelbar spüren können. Bei Schmerzen ist das anders, die Schmerztablette wird daher in der Regel eingenommen. Einen gefährlich hohen Cholesterinwert spüren wir dagegen nicht bewusst im Alltag, erst nach Jahren zeigen sich die Folgen durch Ablagerungen in den Gefäßen. Die Auswirkungen können verzögert, aber zugespitzt in Form eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls mit schweren Folgen auftreten. Ebenso merken wir nicht unmittelbar, dass bestimmte Medikamente erst durch regelmäßige Einnahme langfristig wirken, wie z.B. bestimmte Atemwegsprays. Da keine sofortige Wirkung spürbar ist und durch das Wirkprinzip auch nicht unmittelbar spürbar sein kann, wird ein solches Spray häufig nicht genutzt, mit entsprechend negativen Folgen für die Gesundheit.

Dies sind nur Beispiele, es gibt zahllose Gründe für die Nicht-Einnahme, die Einnahme zur falschen Zeit, die Doppel-Einnahme, die „Ab und Zu“-Einnahme, die Arzneimittel-„Ferien“, die „Kurz vor dem Arztbesuch“-Einnahme, die „Nur bei akuten Beschwerden“-Einnahme, die „Nur eine Woche nach dem Arztbesuch“-Einnahme, und so fort. Der durchschnittliche Patient zu Hause weiß meistens nicht, in welche Gefahr er sich damit begibt.

Aus der Verunsicherung heraus suchen viele Menschen andernorts Rat, z.B. im Internet. Hier sind die Inhalte allerdings oftmals nicht fachkundig; nicht selten sogar durchaus fragwürdig. Ohnehin muss jeder Patient immer als Einzelfall individuell betrachtet werden, da jeder Mensch anders reagiert. Trotzdem werden oft gefährliche Ratschläge aus unsicherer Quelle befolgt, weil Menschen einfach an Etwas glauben wollen, während Sie dem Gesundheitssystem misstrauen. So verständlich dieses Verhalten auf der Gefühlsebene und die Gründe für die Verunsicherung in unserem bisherigen Gesundheitssystem sein mögen, (wie bspw. durch den lückenhaften Gesamtüberblick über die Medikation bereits illustriert), auf der rein sachlichen Therapieebene kann der Patient, der eigentlich Schaden von sich fernhalten will, durch sein irrationales Handeln ein gefährliches Eigentor schießen. Was sollte man daher tun?

Suchen Sie gezielt nach Heilberuflern, die bereits heute einen Gesamtüberblick über all Ihre Krankheiten und die gegebenenfalls resultierende Medikamention für Sie herstellen. Insbesondere ein funktionierendes Team aus einem Hausarzt, der alle Therapien Ihrer Fachärzte berücksichtigt und einer Stamm-Apotheke, die Ihnen eine stets aktuell abgestimmte Medikationsliste zu erstellen und fortzuführen in der Lage ist, sind hilfreich. Fordern Sie dies aktiv ein. Wenn im kommenden Jahr der bundeseinheitliche Medikationsplan eingeführt wird, sind Sie bereits bestens gewappnet.

Stimmen Sie mit diesem Team die genaue Einnahme und Anwendung Ihrer Medikation ab und treffen Sie Entscheidungen gemeinsam, im Einklang mit Ihren eigenen Zielen und persönlichen Vorstellungen. Sprechen Sie dabei offen alle Ängste oder Unsicherheiten im Zusammenhang mit Medikamenten an. Nennen Sie dabei auch Unwohlsein oder vermutete Nebenwirkungen. Manche werden sich als lästig, aber nicht gefährlich herausstellen, andere wiederum nach einiger Zeit von alleine verschwinden. Lassen Sie Arzneien nicht einfach selbstständig weg, sondern stimmen Sie sich immer ab. Lassen Sie sich die Wirkung eines Medikamentes genau erklären und fragen Sie nach, wenn Sie etwas nicht verstanden haben. Besonders wichtig sind dabei die richtigen Einnahmezeitpunkte bezogen auf die Nahrungsaufnahme, denn manche Wirkstoffe können nur so richtig wirken (z.B. „eine halbe Stunde vor dem Frühstück“). Die Einnahmezeitpunkte sollten daher unbedingt für Sie verständlich auf Ihrem persönlichen Medikationsplan stehen und im Alltag gut realisierbar sein.

Medikation in Pflegeeinrichtungen

Die bisher aufgezeigten Aspekte sind besonders dann von Bedeutung, wenn ein Mensch der professionellen Pflege bedarf, was meist mit der Einnahme zahlreicher Medikamente einhergeht. Gerade hier ist ein Gesamtüberblick über die Medikation entscheidend. Ein professionelles Medikationsmanagement ist aber bislang noch eher die Ausnahme denn die Regel. Hier sollten Sie Ihre Rechte einfordern und den Wettbewerb im Markt nutzen. Wenn es um die Auswahl eines geeigneten Altenheimes geht, dann standen bisher die vordergründig wichtigen Dinge für Lebensqualität ganz oben: gutes Essen, schönes Zimmer, nettes Personal. Das alles nützt aber nichts, wenn ein Patient durch nicht abgestimmte Medikation derart beeinträchtig ist, dass er von den aufgeführten Prioritäten nichts mehr wahrnimmt. Es werden z.B. vermehrt Fälle bekannt, in denen ein Patient fälschlicherweise eine Demenz diagnostiziert bekommen hatte, die sich bei näherer Betrachtung als Pseudo-Demenz herauskristallisierte. Und zwar eine erst durch falsche Medikamenten-Kombination entstandene. Wenn ein versierter Arzt oder Apotheker die Medikation geprüft und bereinigt hat, ist mancher dieser Patienten wieder mobil, völlig klar im Kopf und nimmt wieder durchweg am Leben teil. Studiert man solche Fälle, wird deutlich, warum Experten mittlerweile bei falschem Umgang mit der Medikation zu Recht vom „Tatbestand der Körperverletzung“ sprechen. Ein gutes Altenheim legt daher größten Wert auf Medikationsmanagement durch ein funktionierendes Team aus Arzt und Apotheke. Reines Beliefern des Heimes durch die Apotheke und Verteilen durch die Pflegekräfte ist schon lange nicht mehr zeitgemäß; es kommt gerade hier auf professionelle Abstimmung der Medikation und die richtige Anwendung an.

Ein wirksames Werkzeug ist die sogenannte 10-R-Regel, die z.B. auch die „richtige Aufbewahrung der Medikamente in den schützenden Original-Verpackungen“ berücksichtigt. Viele Präparate helfen nur dann richtig, wenn Sie bis kurz vor Einnahme in der Original-Verpackung aufbewahrt werden, die vor Licht, Luftfeuchtigkeit und Oxidation schützt. Dazu zählen z.B. Medikamente, die komplett in Aluminium verblistert sind und daher nicht außerhalb der schützenden Original-Verpackung aufbewahrt werden dürfen (z.B. in Pillendosen oder Neu-Verblisterung). Im Zuge der Suche nach einem Altenheim sollte daher unbedingt die 10-R-Regel als Expertenstandard und dessen konkrete Umsetzung im täglichen Umgang mit dem komplexen Thema Medikation erfragt werden. Die Antwort auf diese Nachfrage kann erhellend sein.

Wichtiger Hinweis: In diesem Artikel kann das hochkomplexe Thema Medikation naturgemäß nur angerissen werden. Entscheidend sind die Therapiehinweise der Ärzte und Apotheker sowie die Beipackzettel der Medikamente.

Hier finden Sie weitere Informationen über ein neuartiges Medikationsmanagement-System zur praktischen Umsetzung eines Medikationsplans im Alltag.