Freiheit und Lebensqualität : Vorsorge treffen und Selbständigkeit bewahren

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Im Alter kann ein jeder in die Lage geraten, nicht mehr selbst über sein Leben entscheiden zu können. Daher sollten rechtzeitig Vorkehrungen getroffen werden, damit Wünsche des Betroffenen berücksichtigt werden.

Unsere Freiheit und Selbstständigkeit ist ein hohes Gut, das nicht zuletzt durch das Grundgesetz geschützt wird. Oft legen wir unseren Entscheidungen und Meinungen ein Menschenbild zugrunde, das den urteilsfähigen, gestaltenden und mobilen Menschen voraussetzt. Manchmal handelt es sich leider auch um scheinbare Freiheiten, etwa wenn neue Mobilität neuen Zwängen folgt oder wenn wir nicht mehr sicher sein können, dass wir als Wähler die Geschicke des Landes tatsächlich bestimmen. Umso mehr bleibt es uns wichtig, auch im Alter unsere vorhandene Entscheidungs- und Handlungsfreiheit zu wahren, unsere Angehörigen und ggf. auch nahestehende Personen gut versorgt zu wissen, unsere Lebensqualität und Lebensfreude auch bei Hilfebedarf zu erhalten.

Gleichwohl sind wir angesichts der gestiegenen Lebenserwartung nicht nur zu Beginn, sondern auch am Lebensabend auf Hilfe und Unterstützung anderer Menschen angewiesen. Dies betrifft nicht nur die praktische Hilfe beim Versagen von Körperfunktionen, sondern gerade auch unser geschäftliches bzw. rechtliches Handeln. Schnell tritt aufgrund von unerwarteter oder plötzlich belastend werdender Krankheit, wegen Veränderungen in Partnerschaft bzw. Familie oder wegen Todesfällen eine Situation ein, die uns emotional und rational überfordert. Wir müssen Wohn- und Behandlungsentscheidungen treffen, denen wir uns nicht immer gewachsen fühlen.
In einer solchen Situation ist es wichtig, wenn in besseren Zeiten ruhig und überlegt Vorsorge getroffen wurde, wenn wir Menschen unseres Vertrauens gefunden haben, die uns beistehen und wir zuvor festgelegt haben, wie wir für den Fall der Pflegebedürftigkeit wohnen und versorgt werden wollen und wie unser Vermögen verwaltet werden soll.

Zeitig einen rechtlichen Betreuer bestimmen

Für den Fall, dass wir nicht mehr in der Lage sind, Entscheidungen selbst zu treffen, unserem Willen Ausdruck zu verleihen oder wir gar unsere Geschäftsfähigkeit verloren haben, hat der Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet, noch in gesunden Tagen (Vorsorge-)Vollmachten an eine oder mehrere Vertrauenspersonen zu erteilen. Dies kann im Bereich der Vermögenssorge oder Gesundheitssorge der Fall sein. Liegt eine solche vom Gesetzgeber vorrangig gewünschte Vollmacht nicht vor, muss das Betreuungsgericht einen rechtlichen Betreuer bestellen. Über die Auswahl des Betreuers entscheidet der Richter, wobei er einen Vorschlag des Betroffenen, soweit ein solcher erkennbar bzw. zuvor schriftlich niedergelegt worden ist, zu berücksichtigen hat.

Ist kein Vorschlag gemacht worden, so werden Familienmitglieder bei entsprechender Eignung vorrangig bestellt. Ausnahmen werden gemacht sobald widerstreitende Interessen der Familienangehörigen zutage treten, die die Führung einer Betreuung zum Wohle des Betroffenen gefährden würden. Dann wird der Richter oft einen Berufsbetreuer bestellen, der je nach Vermögenslage des Betroffenen eine Pauschalvergütung aus dessen Vermögen erhält. Leider ist in Deutschland ein Betreuer oft für eine Vielzahl von Betreuten zuständig, sodass eine individuelle rechtliche Betreuung, die von einem regelmäßigen Kontakt zum Betreuten geprägt sein muss nicht mehr möglich ist. Selbst wenn die Betreuung nur für Teilbereiche, wie etwa die Gesundheitssorge eingerichtet ist, so ist ein derart überlasteter Berufsbetreuer nicht in der Lage, im Rahmen einer unbedingt erforderlichen kontinuierlichen persönlichen Präsenz die Arbeit professioneller, ambulanter und institutioneller Pflegedienste sowie ärztliche Maßnahmen engmaschig zu überwachen. Angesichts der Pauschalvergütung muss ein Großteil der Betreuung „alleine“ laufen, damit der Berufsbetreuer ein gesichertes Auskommen hat.

Der „Person des Vertrauens“ Anweisungen für den Ernstfall geben

Will ich die Einbeziehung des Betreuungsgerichts vermeiden, so gilt es, Vorsorge zu treffen: In einer Vorsorgevollmacht kann ich eine Person des Vertrauens z.B. für den Fall benennen, dass ich selbst meinen Willen nicht mehr ausdrücken kann oder in meinen Angelegenheiten zu keiner Willensbildung mehr fähig bin oder meine Geschäftsfähigkeit verloren habe. Durch die Vollmacht entsteht zum Bevollmächtigten automatisch ein Auftragsverhältnis, welches wiederum ausführlich geregelt werden sollte, damit der Bevollmächtigte und Auftragnehmer genau weiß, was der Bevollmächtigte von ihm erwartet und zu welchen Leistungen er verpflichtet ist. So kann in dem Auftragsverhältnis geregelt werden, nach welchen Prinzipien z.B. das Vermögen zu verwalten ist, in welcher Umgebung ich meinen Lebensabend verbringen möchte oder welche Pflegedienste engagiert werden sollen. Um den Bevollmächtigten auch vor Ansprüchen der Erben zu schützen, sollten u.a. auch die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung und der Umfang der Rechnungslegungspflicht geregelt werden.

Handelt der Bevollmächtigte nicht zum Wohl des Vollmachtgebers oder ist dieser zur Überwachung der Rechtsmäßigkeit der Vollmachtsausübung nicht mehr in der Lage, so kann vom Gericht ein Kontrollbetreuer bestellt werden, welcher die Geschäftsführung des Bevollmächtigten im Sinne des Vollmachtgebers überprüft. Insoweit besteht jedoch auch bereits in der Vorsorgevollmacht die Möglichkeit einen Kontrollbevollmächtigten bzw. Kontrollbetreuer zu bestimmen. Hier bietet sich die Einbindung eines im Betreuungsrecht erfahrenen Rechtsanwaltes an.

Patientenverfügung

Während die Vorsorgevollmacht meine verlorene Handlungsfähigkeit durch eine Vertrauensperson ersetzt, stellt die Patientenverfügung ausschließlich eine Handlungsanweisung an den behandelnden Arzt für bestimmte vorformulierte Behandlungssituationen dar. Damit meine Patientenverfügung dem Arzt überhaupt bekannt wird und ihm gegenüber auch durchgesetzt werden kann, bedarf es einer Person, welche dem Arzt die Patientenverfügung übermittelt, und gleichzeitig auch befugt ist in meinen gesundheitlichen Belangen mit den Ärzten zu kommunizieren und Entscheidungen über ärztliche Maßnahmen zu treffen, falls die Patientenverfügung nicht gänzlich auf die in Frage stehende Behandlung zutrifft. 

Individuelle Vorsorge

Sowohl bei der Erstellung der Vorsorgeregelung (Vollmacht und Auftragsvertrag) wie auch bei der Patientenverfügung ist die Verwendung von Formularen, wie sie vielfach im Internet kursieren, abzuraten: Eine persönliche Absicherung der individuellen Verhältnisse und Wertvorstellungen kann wiederum auch nur durch eine individuell erstellte Vorsorgeregelung und Patientenverfügung erfolgen.  Hier sind Fragen u.a. über lebensverlängernde Maßnahmen oder Wiederbelebungsmaßnahmen im Krankenhaus, die künstliche Ernährung durch eine Magensonde oder der Einsatz von hochkalorischen Nahrungsergänzungsmitteln zu klären. Aber auch Freiheitsbeschränkungen, die ggf. in einem Pflegeheim z.B. in Form von Sedierung durch Medikamente oder Bettgitter in Betracht kommen, der Wunsch nach einer palliativmedizinischen Behandlung ggfs. auch in einem Hospiz ist ebenfalls ausdrücklich festzuhalten.

Bei den Vorsorgemaßnahmen sind die Gegebenheiten unseres Gesundheitssystems zu beachten: Die personelle Ausstattung der Krankenhaus- und Heimeinrichtungen ist oft unzureichend, weil die Politik nicht bereit ist, einen angemessenen Personalschlüssel zu finanzieren. Bei ausreichenden persönlichen Mitteln ist eine Kontaktaufnahme zu einem Netzwerk von in Eigenleistung bezahlter pflegerischer Hilfe sinnvoll. Eigene ethische und fachliche Standards bieten in der Regel die Wohlfahrtsverbände, welche gemeinnützig handeln, keine Gewinne privatisieren und folglich die vom Steuer- und Beitragszahler aufgebrachten Ressourcen im System belassen. Habe ich entsprechende weltanschauliche oder religiöse Prägungen, werde ich mich z.B. für eine Einrichtung der Diakonie, der Caritas oder eine andere gemeinnützige Einrichtung entscheiden.

Sicherung der Selbstbestimmung

Da der staatlich verantwortete Personalmangel im Rahmen des „schlanken Sozialstaats“ auch Grundrechte gefährdet, ist es nur gerechtfertigt schon vorsorglich mögliche Sekundärerscheinungen dieser Missstände, wie vermeidbare Bettgitteranwendungen und künstliche Ernährung, durch Verweigerung der Einwilligung oder die Bestimmung des Einsatzes zusätzlicher selbst bezahlter Pflegekräfte abzufangen. Für die Durchsetzung dieser Rechte am Lebensende ist es möglich, schon präventiv einen Rechtsanwalt zu bevollmächtigen, da Angehörige nicht selten mit unseren vorgefassten Entscheidungen überfordert sind und nicht mehr in der Lage sind ihre eigenen Emotionen von unseren zuvor festgelegten Wünschen zu distanzieren.
Während einzelne Vorsorgemaßnahmen schwierige Situationen im Voraus vollständig regeln sollten, so ist mit einer umfassenden Vorsorgeregelung auch der Grundstein dafür gelegt, dass im Ernstfall möglichst viel Lebensqualität, Freiheit und Selbstständigkeit erhalten bleiben. Das Thema Vorsorge ist mithin keinesfalls ein Problemthema, sondern dient zum Guten.

Prof. Dr. Bernd Schlüter
Der Autor ist Rechtsanwalt, Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und lehrt Sozialrecht an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin.