Wundversorgung im Alter : Chronische Wunden –die unterschätzte Gefahr

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Infektionen vermeiden: bei Verletzungen rechtzeitig einen Arzt konsultieren. Bild: Vadim Guzhva | fotolia.com

Eine Druckstelle an der Ferse, ein aufgekratzter Mückenstich am Bein: Nicht heilende Wunden können durch falsche Behandlung zur Lebensgefahr werden.

Kleine Wunden gehören zum Alltag und werden meist nicht ernst genommen. Splitter im Finger, Schürfwunden an Fußgelenken oder Druckstellen an Zehen oder der Ferse werden bestenfalls desinfiziert und mit einem Pflaster geschützt, aber ansonsten nicht weiter beachtet. Selbst wenn die Wunde nach Wochen immer noch juckt oder schmerzt und sich nicht schließt, erfolgt nur selten der Gang zum Arzt. Aber gerade für ältere Menschen und für Patienten, die unter Diabetes, Durchblutungsstörungen oder Krampfadern leiden, sei es von außerordentlicher Wichtigkeit, dass auch vermeintlich harmlose Wunden eine stärkere Beachtung finden, warnt Dr. med. Reza Ghotbi, Gefäßspezialist, Chefarzt und Leiter des zertifizierten Wund- und Gefäßzentrum am HELIOS Klinikum München West.

Mangelhafte Erstversorgung und haarsträubende Hausmittel

Ehe ein Arzt eine schlecht heilende Wunde zu sehen bekommt, vergehen oft Wochen. In der Zwischenzeit probieren die Betroffenen eine Behandlung im Rahmen ihrer eigenen Möglichkeiten und Hausmittel. „Wir haben schon hochinfektiöse Unterschenkelwunden gesehen, auf die Honig gestrichen wurde“, so Dr. Ghotbi, „oder improvisierte Wundauflagen, die der Betroffene im Haushalt vorrätig hatte“. Leider führt selbst die Behandlung durch den Haus- oder Hautarzt nicht immer zum gewünschten Resultat. Eine wahllose Antibiotikatherapie ohne vorausgegangene, mikrobakterielle Untersuchung könne im schlimmsten Fall zu einer Resistenz führen, die eine Behandlung zusätzlich erschwere, so Dr. Ghotbi. Wenn eine Wunde nicht heilt, liege in 90 Prozent aller Fälle ein grundlegendes Problem wie z.B. eine Durchblutungsstörung vor. Die Wunde wird nicht ausreichend mit den notwendigen Blutbestandteilen versorgt, um eine Heilung zu gewährleisten. Dies führt häufig zur Ansiedlung von Keimen, die sich im gesamten Blutsystem ausbreiten. Dies kann im schlimmsten Fall zu einer lebensbedrohlichen Blutvergiftung führen oder auch eine Amputation des betroffenen Körperteils notwendig machen.

Spätestens nach 14 Tagen zum Gefäßspezialisten

„Unser Problem ist, dass Patienten oft erst sechs Wochen nach der Diagnose einer chronischen Wunde zu uns kommen. Oft haben sie bereits eine missglückte Antibiotikatherapie hinter sich. Bei 80 Prozent dieser Patienten zeigt sich eine deutliche Infektion des Wundbereichs, nicht selten mit Nekrosen, also schwarzen Stellen, die auf abgestorbenes Gewebe hindeuten“, so Dr. Ghotbi. Sein Appell an Betroffene und die behandelnden Ärzte lautet daher: Bitte spätestens nach zehn bis vierzehn Tagen zum Gefäßspezialisten. Er selbst hat den Anspruch an sich und sein Team im Wund- und Gefäßzentrum, innerhalb von 48 Stunden eine grundlegende Diagnose zu stellen und einen Behandlungsplan zu erarbeiten. „In 90 Prozent der Fälle geht es vor allem darum, schnell die Durchblutung zu verbessern und dadurch den ersten Schritt für eine Heilung einzuleiten. Das funktioniert primär durch interventionelle Maßnahmen, bei denen verengte Blutgefäße endovaskulär, mit Hilfe von speziellen ‘Ballons‘, geweitet werden. Vielfach sind weiter testgerechter Einsatz von Antibiotika, lokale chirurgische Maßnahmen sowie blutverdünnende Medikamente erforderlich. In den vergangenen zwanzig Jahren ist es gelungen, die sogenannten Majoramputationen (Amputationen der unteren Extremitäten oberhalb der Knöchelregion) um 25 Prozent zu reduzieren. Auch die Anzahl von Venenbypässen konnte durch die Anwendung moderner Behandlungsverfahren deutlich gesenkt werden.

Vorsorge und Information für Risikogruppen

Um Komplikationen durch offene Wunden vorzubeugen, ist es für vorbelastete Patienten wichtig, sich des Risikos bewusst zu sein. Nur so können sie im Zweifelsfall schnell und angemessen reagieren. Typische Alterserkrankungen wie Arteriosklerose, Diabetes, Bluthochdruck, Herzprobleme oder die sogenannte „Schaufensterkrankheit“, bei der Schmerzen beim Gehen zum häufigen Pausieren zwingen, sind Faktoren, die auf eine problematische Wundheilung hindeuten können.

Die Arteriosklerose ist eine systemische Veränderung, die verschiedene Gefäßregionen in unterschiedlicher Form krankhaft beeinflussen kann. Nur derjenige, der sein Risikoprofil kennt, kann etwas dagegen tun, dass aus diesen Veränderungen weitere Erkrankungen entstehen.

Eine einfache Ultraschalluntersuchung der wichtigsten „Schaltstellen“ des Blutsystems, wie Halsschlagader, Bauchaorta, Leisten- und Kniegelenksarterien, kann bei Risikopatienten Aufschluss über mögliche Veränderungen und damit verbundene Risiken wie Schlaganfall, Aneurysmen sowie Problemen der Wundheilung geben.

„In den meisten Fällen ist aufgrund der verschiedenartigsten Vorerkrankungen ein sehr individueller Behandlungsplan von Nöten“, so Gefäßspezialist Ghotbi, „dies betrifft die Akutbehandlung genauso wie die Nachsorge. Auch langfristig, wenn eine Heilung geglückt ist, muss eine regelmäßige Kontrolle erfolgen.“

Dr. Ghotbi und seinem Team ist es gelungen, die Amputationsrate in ihrem Klinikum in den vergangenen zehn Jahren auf unter 5 Prozent zu senken. Die Komplikationsrate bei der Behandlung chronischer Wunden liegt sogar bei nur 0,4 Prozent. Zahlen, die sicher noch untertroffen werden können, wenn das Bewusstsein geschaffen wird, dass vermeintliche Alltagswunden bei älteren Menschen und Risikogruppen mehr Beachtung finden müssen.

Dr. Ghotbi ist Mitglied bei PRIMO MEDICO – dem exklusiven Netzwerk medizinischer Spezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.